„Für die Jugend ist nichts unmöglich.“

Sokrates

OFFENER BRIEF AN DIE JUGEND

Von Serge Toussaint, Großmeister der französischsprachigen Jurisdiktion des Alten und Mystischen Ordens vom Rosenkreuz AMORC

Schon seit langem wollte ich einen offenen Brief an die jungen Menschen schreiben, habe es aber immer wieder verschoben, weil ich Angst hatte, dass sie dies anmaßend oder „uncool“ finden könnten; ganz zu schweigen von denen, die darin das Werk eines „Gurus“ sehen könnten, der Aufmerksamkeit heischt. Aber jeder kennt das Sprichwort: „Angst schützt nicht vor Gefahr!“ Außerdem war ich immer der Meinung, dass man den Mut haben muss, zu seiner Meinung zu stehen, auch wenn man damit riskiert, missverstanden, falsch beurteilt oder sogar verspottet zu werden. Ich habe mich daher entschlossen, diesen Brief zu schreiben, wobei mein Ziel keineswegs darin besteht, eine Kontroverse zu schüren, sondern vielmehr darin, zum Nachdenken anzuregen.

Zunächst möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich junge Leute wirklich gern habe, was an sich nichts Besonderes ist, zumal kaum jemand das Gegenteil behaupten oder zugeben würde. Trotzdem habe ich mich nie dem „Jugendwahn” hingegeben, den ich als eine Art Demagogie und Eingeständnis von „Altersdiskriminierung” sehe. Obwohl ich mich im Herzen jung fühle und mir meine kindliche Seele bewahren möchte, bin ich mir vollkommen bewusst, dass der größte Teil meines gegenwärtigen Lebens hinter mir liegt und meine Jugend nun der Vergangenheit angehört. Ich sage bewusst „meines gegenwärtigen Lebens”, weil ich, wie die meisten Rosenkreuzer, an die Reinkarnation glaube. Aber das ist ein anderes Thema…

„Die jungen Menschen lieben, nicht das Jungsein“

Ohne Wortspiele bemühen zu wollen, finde ich es besser, die Jugend – junge Leute – zu mögen als das Jungsein. Viele Menschen behaupten, dass sie junge Leute mögen, aber eigentlich mögen sie durch sie die Erinnerung an ihre eigene Jugend. Trotzdem ist es klar, dass man, wenn man das Glück hatte, eine glückliche Jugend zu haben, eine gewisse Nostalgie dafür empfindet. Junge Menschen zu mögen bedeutet, Empathie für sie zu empfinden, was voraussetzt, dass man ihnen zuhört und ihnen Glück wünscht, vorzugsweise mit ihnen und nicht trotz ihnen. Das ist bei mir der Fall, was aber nicht heißt, dass ich alles gutheiße oder mag, was sie sagen und tun oder was die so genannten „Junggebliebenen” oft tun oder glauben machen wollen, um in den Augen der anderen jung zu wirken.

Da ich in meiner Funktion viel reisen darf, möchte ich den jungen Leuten erst einmal sagen, wie froh ich bin, dass die meisten von ihnen weder rassistisch noch nationalistisch sind, was wirklich wunderbar ist. Außerdem sind sie offen für alle Kulturen. Es ist wahrscheinlich das erste Mal in der Geschichte, dass die Jugend weltweit so aufgeschlossen ist. Dies liegt vor allem daran, dass die Verkehrs– und Kommunikationsmittel, zu denen noch das Internet hinzukommt, die Erde zu einem einzigen Land gemacht haben. Es gibt noch eine andere Erklärung für dieses Aufkommen der Aufgeschlossenheit: Ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, und manchmal über den ersten Eindruck hinaus, entwickeln sich die Menschen spirituell von Generation zu Generation, um nicht zu sagen von Inkarnation zu Inkarnation.

„Junge Leute werden immer offener für die Welt.“

Weil junge Leute immer offener für die Welt werden, sind sie viel friedlicher als frühere Generationen. Früher haben Patriotismus, Nationalismus, Angst vor dem Anderen, rassistische Vorurteile usw. Kriege begünstigt. Einmal ausgelöst, führte die Spirale des Hasses, angeheizt durch Rachegelüste, selbst die am wenigsten kriegerischen Menschen dazu, zu töten und zu morden. Heutzutage sind die meisten jungen Leute nicht unbedingt antimilitaristisch, aber sie sind gegen Krieg, was an sich schon eine positive Tendenz ist. Darüber können wir uns nur freuen, denn Frieden ist eines der edelsten Ideale, die es gibt. Tatsächlich bildet Friede einen Archetyp, der fester Bestandteil der menschlichen Seele ist. Dies bedeutet, dass dieses Ideal umso stärker im individuellen und kollektiven Verhalten zum Ausdruck kommt, je mehr sich die Menschheit geistig und spirituell weiterentwickelt.

Durch die Entwicklung von Generation zu Generation und die vielen verschiedenen Arten, wie man Wissen und Informationen erhalten kann, sind junge Leute heute im Allgemeinen besser informiert und weniger naiv als ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern in ihrem Alter. Deshalb haben Religionen deutlich an Einfluss auf sie verloren. Im Allgemeinen passen ihre Dogmen nicht mehr zur Mentalität unserer Zeit, sowohl in moralischer als auch in doktrinärer Hinsicht. Wie viele junge Leute glauben zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch, dass die Menschheit von einem Ur–Paar abstammt, nämlich Adam und Eva, die aus dem Paradies vertrieben wurden, weil sie von der „Verbotene Frucht“ gegessen hatten? Und wie viele glauben an die Auferstehung der Körper und denken, dass Gott am Ende der Zeit die Guten von den Bösen trennen wird? Dies soll keine Kritik an den Religionen sein. Sie hatten und haben immer noch ihren Sinn, schon deshalb, weil sie Millionen von Menschen helfen, ihren Glauben im Alltag zu leben.

Ich verstehe zwar, dass die meisten jungen Leute, vor allem im Westen, sich nicht so sehr für Religion interessieren, aber ich finde es trotzdem schade, dass sie sich dadurch von der Spiritualität entfernt haben. Diese Entfernung ist tatsächlich nicht förderlich für ihr Wohlergehen, weil sie eine Leere in ihrem Innersten schafft. Da „die Natur das Vakuum verabscheut”, füllen viele von ihnen diese Leere mit Aktivitäten, die ihre physischen und mentalen Sinne in Anspruch nehmen und sogar überstrapazieren, manchmal bis zum Äußersten, zum Nachteil ihres Innenlebens. Das Ergebnis ist ein psychisches Ungleichgewicht, das zum großen Teil erklärt, warum viele nicht wirklich glücklich sind und unter einem offensichtlichen Unwohlsein leiden. Um sich davon zu überzeugen, muss man sich nur daran erinnern, dass in den sogenannten entwickelten Ländern die Zahl der Selbstmorde unter Jugendlichen immer weiter steigt, bis zu einem Punkt, der wirklich besorgniserregend ist. Wie kann man von einer solchen Feststellung unberührt bleiben?

Aber wie kann man vielen jungen Leuten vorwerfen, dass sie nicht spirituell sind, wenn ihre Eltern dazu beigetragen haben, dass die Gesellschaft immer materialistischer wird? Heutzutage,

wie jeder weiß, regiert das Geld die Welt. Sicher, es hat schon immer einen großen Einfluss auf die Menschen ausgeübt, aber dieser Einfluss scheint jetzt seinen Höhepunkt erreicht zu haben und führt zu einer scheinbar grenzenlosen Gier und Habgier. Geld wird wie ein Gott verehrt und ist die Grundlage einer seelenlosen Religion – dem Geldkult – mit ihren Anhängern und Dienern. Ihr Credo könnte nicht einfacher sein und lässt sich in einem Wort zusammenfassen: „Haben” – immer noch mehr. Auf ihrem Altar werden die grundlegendsten moralischen Werte geopfert: Ehrlichkeit, Integrität, Fairness, Großzügigkeit, Teilen usw. Allerdings brauchen wir alle Geld, sodass nicht das Geld selbst schuld ist, sondern die zu große Bedeutung, die ihm heute beigemessen wird. Von einem „Diener”, der es sein sollte, ist es zu einem „bösen Herrn” geworden, und zwar in allen sozialen Schichten.

Jugendliche und Spiritualität

Worin besteht nun diese Spiritualität, die vielen jungen Leuten fehlt und die ihnen helfen könnte, sich besser zu fühlen? Zunächst müssen wir feststellen, dass man dafür nicht einer der bestehenden Religionen folgen muss, vor allem, weil sie, wie ich schon gesagt habe, dazu neigen, sich von der Spiritualität abzuwenden. Kurz gesagt basiert diese auf der Idee, dass jeder Mensch eine Seele hat und dass es das Hauptziel im Leben ist, diese Seele zu verbessern. Wie? Indem man frei an seiner persönlichen Entwicklung arbeitet, oder genauer gesagt, an der Vervollkommnung seiner Persönlichkeit. In dieser Arbeit der Vervollkommnung liegt die Grundlage der Spiritualität, nicht im religiösen Sinne des Wortes, sondern im mystischen. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist Gott nicht nur die Intelligenz, das Bewusstsein, die Energie, die Kraft – ganz gleich, welchen Begriff man wählt –, die im Universum und in der Natur wirkt; er ist auch in uns Menschen das, was wir gemeinhin als „die Stimme unseres Gewissens” bezeichnen.

Der wachsende Einfluss, den Geld auf die Gesellschaft ausübt, hat eine eigene Subkultur hervorgebracht. Wie viele dumme, vulgäre und erniedrigende Sendungen gibt es, ganz zu schweigen von der Gewalt, die ständig auf den Bildschirmen zu sehen ist! Viele davon sind für junge Leute gemacht, was vermuten lässt, dass diejenigen, die sie finanzieren, produzieren, programmieren und moderieren, denken, dass die Jugend sich mit Dummheit und Vulgarität zufriedengibt und Spaß daran hat, sich selbst zu erniedrigen. Sollte sie angesichts einer solchen Geringschätzung nicht selbstbewusst auftreten und sich für Sendungen entscheiden, die ihrer Sensibilität und Intelligenz entsprechen? Wäre es nicht in ihrem Interesse, diese schamlose Manipulation der Geister abzulehnen und sich sogar dagegen zu wehren? An Sie ganz allgemein und an die Jugendlichen im Besonderen gerichtet: Macht das Fernsehen zu einem Mittel der kulturellen und moralischen Bereicherung statt zu einem Mittel der Unterwerfung und Verdummung.

Zu den schlimmsten Manipulationen, denen junge Leute ausgesetzt sind, gehört die Verherrlichung des Ruhmes. Mit viel Exhibitionismus und Voyeurismus wird ihnen eingeredet, dass es eines der wichtigsten Ziele im Leben sei, berühmt, und dadurch bewundert und verehrt, ja sogar angebetet zu werden. Wohin kann so ein Ego–Kult führen, wenn nicht zu Enttäuschung und Ernüchterung? Wie die Erfahrung zeigt, reicht Berühmtheit nicht aus, um erfüllt und glücklich zu sein; in vielen Fällen ist sie sogar eine Quelle von Ängsten, Befürchtungen und Stress. Wir sollten Glück nicht in den Augen anderer suchen, sondern in unserem eigenen Blick auf uns selbst. Das heißt, dass wir vor allem lernen müssen, uns selbst ein guter Freund zu sein. Wer das schafft, hat weder das Bedürfnis, berühmt zu sein, noch lässt er sich dazu hinreißen, diesen oder jenen „Star” so sehr zu verehren, dass man den Eindruck gewinnt, er würde sein Leben stellvertretend durch diesen Star leben lassen.

Was soll man auch zu den Modetrends sagen, die den Jugendlichen regelmäßig aufgezwungen werden oder die sie sich gegenseitig aufzwingen, sei es in Sachen Musik, Kleidung, Sprache, Sitten usw.? Auch hier sollten sie sich fragen, wem oder was diese Manipulation nützt. Es ist völlig normal, dass man sich von anderen abheben und sich behaupten will, aber Persönlichkeit zu haben heißt nicht, andere nachzuahmen oder irgendwelchen Modetrends zu folgen.

Es heißt auch nicht, „Hauptsache dagegen” und sich übertrieben von anderen abzuheben, nur um anders zu sein. Es geht einfach darum, man selbst zu sein und nach seinen eigenen Werten und Vorlieben zu leben. Und anders als viele junge Leute denken, gibt es nichts Respektableres und sogar Bewundernswerteres, als zu den eigenen Entscheidungen zu stehen, auch wenn sie „normal” sind, anstatt die Entscheidungen von anderen zu übernehmen, um „in” zu sein oder so zu wirken.

Die Beziehung der Jugendlichen zur Politik

Genau wie der Religion gegenüber hat sich auch das Verhältnis der Jugendlichen zur Politik stark verändert. Fest steht, dass Politik ein wichtiger Teil der Gesellschaft ist und man sie braucht, um den Staat und die Kommune zu regieren, egal ob es sich um ein kleines Dorf oder eine riesige Stadt handelt. Noch vor wenigen Jahrzehnten stand sie im Mittelpunkt der Gespräche unter Jugendlichen, die sich alle als „Rebellen” fühlten, manchmal ohne wirklich zu wissen, ob das, was sie ablehnten, wirklich abzulehnen war. Heutzutage interessieren sich viele nicht mehr dafür. Warum? Weil sie das Gefühl haben, dass die Politik die Probleme der einfachen Bürger nicht lösen kann und nicht in der Lage ist, die Welt zu verbessern. Dies erklärt, warum in vielen Ländern die Wahlenthaltung unter jungen Leuten sehr hoch ist, außer vielleicht bei Kommunalwahlen, wo sie sich mehr betroffen fühlen.

Genau wie die Menschen ist auch die Politik nicht perfekt und kann daher kritisiert werden. Aber wenn man bedenkt, dass wir in jeder echten Demokratie die Politiker haben, die wir verdienen, spiegelt sie nicht nur diejenigen, die uns regieren, sondern auch jene, die regiert werden. Angesichts der Probleme, mit denen die Gemeinschaft konfrontiert ist, ist es daher zu einfach und zu leicht, ausschließlich diejenigen anzugreifen, die politische Ämter bekleiden. Unabhängig davon, dass wir frei wählen können, dürfen und müssen wir unseren freien Willen nutzen und uns für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Wie? Indem wir uns bemühen, „vollkommene Menschen” zu werden, um es mit den Worten von Comenius zu sagen, einem bedeutenden Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts, der als geistiger Vater der UNESCO gilt. In diesem Sinne habe ich immer gedacht, dass Politik im philosophischen Sinne des Wortes in erster Linie die Kunst ist, sich selbst zu regieren.

Meiner Meinung nach liegt die Lösung für die aktuelle Krise eher in der Ethik als in der Politik, wobei das eine das andere nicht ausschließt. Aber was ist Ethik? Kurz gesagt geht es dabei um jene Grundeinstellung, sich selbst, die anderen und die Natur zu respektieren, was nicht moralisierend gemeint ist. Leider fehlt dieser Respekt heutzutage auf eklatante Weise, weil Eltern und Erwachsene ihn im Allgemeinen nicht an die Kinder weitergegeben haben. In den letzten Jahrzehnten wurden sie vielmehr darauf konditioniert, Rechte einzufordern. Das wäre nicht schlimm, wenn man sie gleichzeitig mit den entsprechenden Pflichten vertraut gemacht hätte. Dies ist aber nicht geschehen, was zu dem aktuellen Ungleichgewicht und seinen Folgen in der Gesellschaft geführt hat: Gewalt, Korruption, Intoleranz, Diebstahl, Vergewaltigung, illegaler Handel aller Art usw. All diese negativen Verhaltensweisen zeigen, dass es an Gewaltfreiheit, Integrität, Toleranz, Ehrlichkeit, Wohlwollen usw. mangelt. Es ist also dringend notwendig, zu diesen Grundlagen zurückzukehren, und es ist Aufgabe der jungen Leute, sich dieser Herausforderung zu stellen. Da sie eher Opfer als Schuldige der seit zu langer Zeit in diesem Bereich herrschenden Nachlässigkeit sind, wäre ihr Verdienst umso größer…

Was das Thema Pflichten angeht, können junge Leute, die diesen offenen Brief lesen, vielleicht in der „Erklärung der Menschenpflichten” des Alten und Mystischen Orden vom Rosenkreuz AMORC aus dem Jahr 2006 ein paar Anregungen finden:

https://www.amorc.de/wp–content/uploads/2024/09/Menschenpflichten.pdf.

Diese Erklärung wurde übrigens ganzseitig in führenden Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht und von vielen Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Religion begrüßt. Der Epilog spricht für sich: „Wenn alle Menschen ihre grundlegenden Pflichten erfüllen würden, gäbe es nur noch wenige Rechte, die es einzufordern gäbe, denn jeder würde den ihm gebührenden Respekt erfahren und könnte glücklich in der Gesellschaft leben. Deshalb darf sich jede Demokratie nicht darauf beschränken, einen „Rechtsstaat” zu fördern, denn dann könnte das im Prolog erwähnte Gleichgewicht nicht aufrechterhalten werden. Sie muss auch einen „Pflichtstaat“ fördern, damit jeder Bürger in seinem Verhalten das Beste zum Ausdruck bringt, was im Menschen steckt. Nur auf diesen beiden Säulen kann die Zivilisation ihren Status als Menschheit voll und ganz wahrnehmen.“ Solche Aussagen sind sicher nicht reaktionär, sondern bringen einfach zum Ausdruck, was für alle klar sein sollte.

Aus dem Vorstehenden lässt sich ableiten, dass Politik nicht nur Sache der Parteien und Strömungen ist, die sich ihr verschrieben haben, unabhängig von ihrer Ausrichtung. Als Mittel der Selbstregierung betrifft sie jeden von uns und erfordert, dass wir das Beste von uns in den Dienst anderer und der Gesellschaft stellen, was uns zu dem zurückbringt, was ich zuvor über Spiritualität gesagt habe. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die höchste Form der Politik der Humanismus, ein philosophisches Ideal, das darin besteht, das Wohlergehen jedes Einzelnen ohne Unterschied in den Mittelpunkt der Anliegen der Regierenden und der Regierten zu stellen. Dies bedeutet, anderen gegenüber zu tun, was wir uns selbst wünschen, aber auch, ihnen nichts anzutun, was wir selbst nicht möchten. Das erinnert natürlich an das wichtigste Gebot Jesu, das nicht das moralische oder spirituelle Eigentum einer bestimmten Religion ist, sondern eine Quelle der Inspiration für jeden, ob Christ oder Nichtchrist, Gläubiger oder Atheist, der sich an dieses Gebot hält. Auch wenn sie keine Spiritualisten sein mögen, fordere ich alle jungen Menschen auf, Humanisten zu sein.

„Ökologie ist zu einem wichtigen Thema geworden.“

Aber man kann kein Humanist sein, ohne sich nicht auch für den Erhalt und Schutz der Natur einzusetzen. Wir wissen alle, dass unser Planet wirklich bedroht ist: Globale Erwärmung, übermäßige Abholzung, weit verbreitete Zerstörung von Ökosystemen, Aussterben vieler Pflanzen– und Tierarten, verschiedene Arten von Umweltverschmutzung… Es ist klar, dass die Ökologie zu einer der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts geworden ist. Leider wird dieses Thema durch die wirtschaftliche und soziale Krise, welche die Welt seit mehreren Jahrzehnten trifft, verdrängt, sodass die Gefahr besteht, dass wir nicht das Nötige tun, um das Schlimmste zu verhindern. Sicherlich geht es hier um das Erbe früherer Generationen, aber wenn die jungen Leute von heute nicht mehr aktiv werden, scheint es klar, dass die Erde, dieses Meisterwerk der Schöpfung, für Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Menschen unbewohnbar wird. Setzen wir also auf das Verantwortungsbewusstsein und das Engagement der jungen Menschen in der Hoffnung, dass ihre Kinder und Enkelkinder eine regenerierte Mutter Erde erben werden, mit der sich die Menschheit endgültig versöhnt hat.

Eine weitere Gefahr für das Gleichgewicht der Gesellschaft und dafür, was man gemeinhin als „Zusammenleben“ bezeichnet, ist der Individualismus. Das Internet ist zwar eine großartige Informationsquelle und ein hervorragendes Kommunikationsmittel, aber ich finde es schade, dass es mittlerweile so übermäßig genutzt wird, dass viele junge Leute zugeben, nicht mehr ohne Internet leben zu können – und sie sind nicht die Einzigen… Was soll man auch zu ihrer Abhängigkeit vom Smartphone sagen, ganz zu schweigen von Videospielen? Ein Paradox der modernen Zeit: Die Menschen kommunizieren den ganzen Tag von einem Ort der Erde zum anderen, aber viele von ihnen sagen, dass sie sich unendlich einsam fühlen. Dazu kann man in der „Positio Fraternitatis Rosae Crucis“, einem Manifest, das AMORC 2001 weltweit veröffentlicht hat Folgendes lesen:

„Wir stellen außerdem fest, dass im Zeitalter der Kommunikation die Menschen kaum noch miteinander sprechen. Die Mitglieder einer Familie reden nicht mehr miteinander, weil sie damit beschäftigt sind, Radio zu hören, fernzusehen oder im Internet zu surfen…” Ist es nicht an der Zeit, den direkten Kontakt wieder mehr zu schätzen und die Gesellschaft wieder menschlicher zu machen?

Wegen der chaotischen Lage auf der Welt sind viele Menschen, vor allem junge Menschen, ziemlich pessimistisch, was ihre eigene Zukunft und die der Menschheit angeht. Die Rosenkreuzer sind und bleiben dagegen optimistisch, was aber nicht heißt, dass sie unrealistisch sind. So heißt es in dem Text „Prophezeiungen der Rosenkreuzer”, der 2011 veröffentlicht wurde: „Im Hinblick auf unsere Lehre und unsere Philosophie sind wir optimistisch für die Zukunft, auch wenn die aktuelle Situation das Schlimmste befürchten lässt. Hinter dem ersten Eindruck ist die schwierige Zeit, die wir gerade durchmachen, ein „notwendiger Schritt”, der es der Menschheit ermöglichen soll, über sich hinauszuwachsen und zu sich selbst zurückzufinden… Im Grunde soll sie eine ideale Gesellschaft schaffen, die sich viele Weise der Vergangenheit gewünscht haben und auf die viele Menschen mehr oder weniger bewusst hoffen. Also vertrauen wir darauf! Anstatt uns darauf zu beschränken zu sagen, dass „Hoffnung leben lässt”, sollten wir mit der Vorstellung handeln, dass das Leben voller Hoffnung ist.

Zu Beginn dieses Briefes habe ich meine Befürchtung geäußert, dass er als „altmodisch” empfunden werden könnte, vor allem von den jungen Leuten, die ihn lesen werden. Ich finde es aber nicht „altmodisch”, sie zu ermutigen, spirituell, humanistisch und ökologisch zu sein, und sie dazu zu bringen, sich nicht mehr von denen manipulieren zu lassen, die mit Dummheit, Voyeurismus und anderen Auswüchsen der Verflachung der Sitten Geld machen, sie vor dem Individualismus zu warnen, den die neuen Technologien hervorbringen, ihnen zu empfehlen, das Beste in sich zu wecken und zum Ausdruck zu bringen usw. Ich für meinen Teil appelliere an ihr Gewissen, ja an ihre Seele, damit sie ihr Leben nicht verpassen und die Menschheit zu dem machen, was sie sein soll, nämlich auf dieser Erde der Ausdruck dessen, was das Leben den heutigen und zukünftigen Generationen an Bestem bieten kann. Sie sollten sich also die Frage stellen: Welche Gesellschaft, welche Menschheit, welche Welt wünschen sie sich für ihre Kinder?

Ein Sprichwort, das Sie alle kennen, lautet: „Wenn die Jugend wüsste – wenn das Alter könnte“, was vermuten lässt, dass junge Menschen die nötige Energie haben, um die Welt zu verbessern, aber (noch) nicht über die erforderliche Erfahrung verfügen. Ich bin überzeugt, dass sie es schaffen können, wenn sie den Willen dazu haben, sogar über unsere Erwartungen hinaus. Lasst uns also an sie glauben…

Mit diesen hoffnungsvollen Worten schließe ich diesen Brief und wünsche allen jungen Leuten, die ihn lesen, viel Glück und Erfolg, egal ob sie diese Zeilen gut fanden oder nicht.

Mit den besten Wünschen.

Serge Tousaint